Mickey Maus hat eine Ape Faro Basso!

Oder zumindest so etwas Ähnliches. Das dachte ich mir beim Blick auf das Tablet, das der Kleine in der Hand hielt. So ist das mit Kindern von vier bis sechs Jahren: Kaum schaut man einmal weg, haben sie sich ein Tablet organisiert, YouTube angeworfen und schauen Dinge von zweifelhaftem Inhalt: Mickey Maus in diesem Fall. Schnell geschnitten, bunt, schrill und dafür ohne tieferen Inhalt oder – Gott bewahre – ein Lernziel.

Vielleicht ist auch mit dem ersten Blick meine Phantasie mit mir durchgegangen und es ist eine eine ältere Bajaj RE?

Nein, das passt auch nicht: Es gab die Bajaj wohl früher auch mit nur einer Lampe auf dem mitgelenkten Kotflügel – ähnlich wie bei einer Ape Faro-Basso. Aber solch eine alte Bajaj müsste dann die dreigeteilte Frontscheibe haben. Das Mäuse-Tuk hat aber eine gerundete, einteilige Frontscheibe – wie die Ape Calessino oder auch die mordernere Bajaj RE.

Eine ältere Bajaj RE, aufgenommen von mir in Pune, Indien

Vermutlich ist es doch einfach nur ein generisches Tuk Tuk. Es fehlen so oder so die Blinker an der Front. Dazu haben diese beiden Tuk Tuks (wie auch alle anderen im Film, die regulär grün-weiß daher kommen) keine Trennwand hinter dem Fahrer. Da hat die Ape City aber eine dünne Wand, die Bajaj RE dazu noch einen deutlich sichtbaren Kasten aus Blech. Die Aufhängung des Vorderrades mit der geschobenen kurzen Gabel erinnert mich dann doch wieder an die Konstruktion der Ape seit Generationen.

Es ist also doch ein generisches Gefährt. Oder dramatischer sozusagen „Frankensteins Dreirad“

Quelle: Micky Maus: Kunterbunte Abenteuer – Folge 16 – Tuk Tuk


Kaum ist die Neugierde geweckt, habe ich an anderer Stelle gleich ganz andere Details gefunden, bei denen Disney so nah an der indischen Realität ist, dass es verblüfft: Die Ladung der kleinen Dreiräder und ihre ordnungsgemäße „Ladungssicherung“. Genau so habe ich es vor über einer Dekade in Indien erlebt!

Doch seht selbst mit eigenen Augen:

Quelle: Micky Maus: Kunterbunte Abenteuer – Folge 59 – Die pinkfarbene Stadt

Mnmlsms

Was ist denn das für eine Überschrift? Ist die Katze über die Tastatur gelaufen oder fehlt da was?

Nein, bei uns gibt es keine Katze. Da fehlt was: Die Vokale. Es sollte „Minimalismus“ heißen. Wenn man es weiß, kann man sie weg lassen und versteht es trotzdem. Vokale sind dann redundant und können weg. Genau, darum soll es gehen: Was überflüssig ist, braucht man nicht.

Und schon sind wir bei der Ape, denn sie ist ein minimalistisches Fahrzeug – wenn nicht sogar das minimalistischste aller Fahrzeuge, die man in den letzten Jahren kaufen konnte. Abgesehen vom Mofa vielleicht. Aber das kippt um, wenn man es los lässt.

Am Anfang steht die Motivation. Die Frage nach dem „Warum?“ stellt sich immer schon vor dem „Wie?“ oder „Was?“. Für die Ape könnte dies in einem Satz so lauten:

Möglichst vielen Menschen soll es ermöglicht werden, einen Mensch und Gepäck ohne Anstrengung wo anders hin zu bringen, ohne dass etwas nass wird.

Der Anforderungskatalog dazu passt dann auf den Deckel eines Pizzakartons (Bierdeckel benutzt man in Italien ja nicht):

  1. Der Fahrer braucht eine Scheibe und etwas über dem Kopf, damit er bei Regen nicht nass wird.
  2. Das Ding braucht einen Motor, damit niemand schieben und keine Tiere ziehen müssen.
  3. Das Ding muss von selbst stehen können. Denn wenn es immer umfällt, kann man es nicht gut beladen. (Eine durchaus gute Frage, ich habe noch nie herausgefunden, wie die Inder mit Ihren Zweirädern das genau anstellen).
  4. Die Mindestanzahl der Räder ergibt sich daraus von allein zu drei Stück: Denn erst mit dem dritten Aufstandspunkt ergibt sich im dreidimensionalen Raum für die Position des zu entwerfenden Dings ein vollständig bestimmtes Gleichungssystem.
  5. Außer dem Fahrer muss man noch was mitnehmen können. Entweder eine Menge Zeug oder mindestens zwei Leute. In Indien gegebenenfalls auch mehr.
  6. Das Ding darf nicht teuer zu kaufen sein, sonst kaufen es arme italienische Bauern nämlich nicht. Und es darf auch nicht teuer im Betrieb sein, denn sonst benutzt es keiner. Und dann kauft es auch keiner bzw. nur die Doofen.
  7. Das einzelne Rad kommt nach vorn, die zwei Räder nach hinten – denn hinten kommt die ganze Beladung hin.
  8. Ein Motor nimmt dem Fahrer die Arbeit ab, das Ding zu schieben. Das ist der entscheidende Mehrwert – denn Schubkarren und Sänften gab es schon.
  9. Es werden die hinteren Räder angetrieben, denn das vordere Rad anzutreiben ist kompliziert. Und kompliziert ist teuer – und überhaupt macht es keinen Spaß das zu konstruieren.
  10. Das Ding braucht eine Bremse zum kontrollierten Anhalten.
  11. Der Motor wird mit Benzin betrieben, denn das gibt es überall und man kann es gut transportieren.
  12. Der Motor bekommt nur einen Zylinder, denn jeder weitere macht im Prinzip nichts Anderes als der erste auch.
Wenn man so ein Fahrzeug beladen will, dann braucht man externe Hilfe, sonst kippt es um. Um das zu vermeiden, braucht man mindestens drei Räder. Gesehen in der Nähe von Pimpri bei Pune (Maharashtra, Indien, 2011).

Schaut man sich die resultierende Architektur an, soverblüfft die Übereinstimmung mit dem ersten Automobil überhaupt, dem Patent-Motorwagen Nummer 1 von Carl Benz:

Benz Patent-Motorwagen Nummer 1, Quelle: Wikipedia, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Es ist ebenfalls ein Dreirad mit dem gelenkten, einzelnen Rad vorn und einem Antrieb mit einem Einzylinder-Benzin-Motor. Mit keinem Auto kommt man der ursprünglichen Automobilität so nah wie mit einer Ape!

Gut, wesentliche Fortschritte gibt es trotz alledem im Bereich der Fahrbarkeit und des Komforts. Der Motorwagen Nummer 1 war im Prinzip ein rein technischer Demonstrator. Die Idee eines Dachs gegen Regen war von Kutschen schon lange bekannt und Carl Benz auch klar – schon der Motorwagen Nummer 3 hatte neben einer Federung, einem Schaltgetriebe dann auch schon ein verschließbares Stoffverdeck – jetzt sind wir schon sehr nah dran an einer Calessino!

Hinzugekommen sind seitdem noch einige technische „Finessen“ der Ape in Sachen Fahrbarkeit und Komfort:

  • Ein Differentialgetriebe ermöglicht Kurvenfahrt ohne rubbelnde Reifen
  • Ein Rückwärtsgang
  • Eine Frontscheibe, die mit höheren Geschwindigkeiten schnell offensichtliche Vorteile bietet
  • Scheibenwischer, die sich schnell aus dem Vorhandensein einer Scheibe erschließen. Diese sind in der Tat nicht rechtlich vorgeschrieben, es gibt bis heute auch Autos ohne Frontscheiben oder sogar mit Frontscheiben ohne Scheibenwischer, so wie z.B. den Caterham oder den Smart Crossblade.
  • Lampen – um Nachts zu sehen, wo man hin fährt.
  • Kilometerzähler und Tankuhr, damit man den Tank nicht aus versehen leer fährt. Und ja – genau genommen sind die beiden Anzeigen schon redundant!
  • Lenk- und Zündschloss

In der Tat sind viele Ausrüstungsteile letztlich aus rechtlichen Gründen hinzugekommen, welche die Ape zunehmend komplexer gemacht haben:

Eine „Auto Rickshaw“ ohne Türen. Zwar keine Ape, aber ein älteres Exemplar des lokalen Marktführers in Indien – eine Bajaj RE. Pune, 2011

Viel mehr ist an einer Ape eigentlich nicht dran. Man könnte sagen, dass dies das absolute Minimum darstellt, mit dem man auf deutschen Straßen heute unterwegs sein kann. Lässt man hiervon etwas weg, so wäre das Fahrzeug entweder illegal zu betreiben oder zumindest gäbe es einen wirklich relevanten Einschnitt in die Funktionalität.

Einen Drehzahlmesser? Hat die Ape nicht. Man hört, wie schnell der Motor dreht. Und dazu ist er so ausgelegt, dass er zu hohen Drehzahlen hin überproportional an Drehmoment verliert. Das heißt, seine Leistung sinkt ab einer gewissen Drehzahl wieder. Jeder Mensch mit einem Vortriebsbedürfnis – also eigentlich jeder – schaltet dann von ganz allein.

Eine Uhr im Armaturenbrett? Gibt es nicht. Man darf davon ausgehen, dass der Fahrer über eine Armband- oder andere Uhr verfügt. Oder Uhren in der Umgebung verfügbar sind. Wenn nicht, dann kann man nach dem Sonnenstand schauen oder verlässt sich auf sein Zeitgefühl. Für die Pünktlichkeitsanforderungen auf dem italienischem Land sollte das hinreichend genau sein.

Eine Kühlwasser-Temperatur-Anzeige? Nein, in Ermangelung einer Wasserkühlung ist auch das unnötig. Nach Sicherheitstechnik wie im Auto muss man gar nicht erst suchen – und das ist ein ganz eigenes Thema für sich.

Im Prinzip handelt es sich bei der Ape Calessino also um den Lösungsansatz für Individualverkehr mit der kleinstmöglichen Anforderung an technische Komplexität.

Das führt zu einfacher Wartung und Reparatur und in letzter Konsequenz (hoffentlich) einer Steigerung der Zuverlässigkeit durch Verringerung der absoluten Zahl an Fehlermöglichkeiten im System. Denn die Komplexität ist nicht Dein Freund!

„Alles, was Du besitzt, besitzt irgendwann Dich.“

Tylor Durden im Film „Fightclub“

Aus unserer heuten Welt heraus in Ihrer komplex technisierten Form heraus kann die Ape Calessino fast als philosophisches Statement betrachtet werden.

Piaggio selbst hat und hatte sich der Entwicklung und Produktion von sehr komplexen Geräten verschrieben: Flugzeuge für den Krieg und später auch für zivile Anwendungen (wobei man auch hier durchaus bereit ist, Konzepte mal von Grund auf neu zu denken)

Vermutlich war der Ansatz bei der Erschaffung der Ape ein profaner und pragmatischer Ansatz mit dem Ziel der Kostenreduktion in der Produktion für eine breite Massenproduktion. Das spiegelt sich auch 70 Jahre später in der aktuellen Ape Calessino noch wieder.

Traue ich Piaggio zu, dass sie einen philosophischen Ansatz bei der Entwicklung der Ape seinerzeit zu Grund gelegt haben? Nein. Wohl eher nicht. Aber es bleibt ein schöne Vorstellung, dass es so gewesen sein könnte!