Das Lange muss ins Kleine

Heute war der erste richtig sommerliche Tag: 20 °C im März! Dazu die Chance, recht früh aus der Arbeit zu entfliehen und damit prädestiniert, noch eine Runde mit der Ape zu drehen. Nein, aber nicht einfach so: Ich brauchte noch ein paar Dinge von IKEA und vom Baumarkt.

Mir der Calessino zu IKEA, da schauen die Leute schon ein wenig blöd. Aber bei IKEA brauchte ich nur ein paar Kisten, um meine Garage zu sortieren. Also schnell rein und wieder raus.

Hier wird ein grundsätzliches Problem der Calessino offensichtlich, dass sich mir immer stellt, wenn ich an mehreren Stellen etwas einkaufen möchte: Wohin mit den bereits eingekauften Sachen? Da hat der Besitzer einer Kasten-APE echt einen Vorteil. Selbst bei der Pritschen-APE kann ich Dinge immer noch im Fahrerhäuschen wegschließen. Aber in der Calessino sind meine Einkäufe jedem Zugriff frei ausgesetzt!

Am Baumarkt angekommen, war die Frage: Wohin mit den Holzkisten von IKEA? Bisher habe ich bei Einkäufen mich immer weitgehend drauf verlassen, dass sie schon niemand klauen wird. Aber wer braucht schon vier Holzkisten von den Leuten, die auf einem Baumarktparkplatz an der unbeaufsichtigten Ape vorbei laufen? Genau – im Prinzip jeder einzelne von denen…

Ich habe meine IKEA-Pakete also mit dem farbfleckigen Malerfilz abgedeckt, den ich zum Schutz der Ape mitgenommen hatte. Sieht von außen aus wie ein riesiger Haufen dreckiger Malerfilz. Prima! Hat gut funktioniert, als ich wieder kam war alles noch da.

Aber auf lange Sicht werde ich eine Lösung finden müssen, wie man vorübergehen Dinge in der Ape wegschließen kann, die zu groß für das Handschuhfach sind. Im Prinzip fallen mir da nur zwei Lösungen ein:

  1. Eine verschließbare Alu-Kiste, die in den hinteren Fußraum passt, so dass noch die Mitfahrer Ihre Füße daneben abstellen können. Oder aber sie kommt oben auf die Motorabdeckung. Dazu müsste sie aber unten gummiert werden, dass sie den Lack nicht zerkratzt. So oder so muss sie – vorübergehend und reversiebel – fest mit der Ape verbunden werden können. Das könnte mit einer Kette und einem Vorhängeschloss gehen. Am Besten ummantelt mit einem Schlauch, damit es nicht klappert oder etwas zerkratzt. Diese Kisten gibt es recht günstig hier im Baumarkt. Warum habe ich nicht gleich eine mitgebracht? Richtig, das wäre ein wenig zu geradeaus gedacht…
  2. Die andere Möglichkeit ist der Einbau eines Kofferraums, wo der Bereich über dem Motor und die obere Zugangsklappe als ein Gepäckraum umgebaut wird. Die Leute von Casa Moto haben sich sowas ausgedacht und bieten es als Umbausatz an. Das ist eine viel elegantere Lösung – aber mit etwas Arbeit verbunden. Ich überlege noch, ob ich diesen Schritt nicht noch mal in Zukunft gehen möchte!

Für die Reparatur der Holzterrasse brauchte ich Douglasien-Bretter. Eigentlich wollte ich erst zwei Stück zu 360 cm kaufen. Man kann ja einfach hinten bei der Ape durchladen! Praktisch, diese Calessino. Irgendwie kommen mir aber dann doch Zweifel und ich entscheide mich für drei Stück Holz mit 240 cm Länge. Die stehen jetzt kaum über und ich brauche nicht einmal ein Fähnchen daran zu machen.

Trotzdem frage ich mich, ob die längeren Bretter auch gegangen wären. Lustig hätte es auf jeden Fall ausgesehen!

Auch wenn man intuitiv denken würde: In Indien nur was für Anfänger, aber in Deutschland ausgeschlossen! Nein, das geht auch hier bei uns:

„Nach hinten darf die Ladung bis zu 1,50 m hinausragen, jedoch bei Beförderung über eine Wegstrecke bis zu einer Entfernung von 100 km bis zu 3 m; […]

Ragt das äußerste Ende der Ladung mehr als 1 m über die Rückstrahler des Fahrzeugs nach hinten hinaus, so ist es kenntlich zu machen durch mindestens

1.eine hellrote, nicht unter 30 x 30 cm große, durch eine Querstange auseinandergehaltene Fahne,

2.ein gleich großes, hellrotes, quer zur Fahrtrichtung pendelnd aufgehängtes Schild oder

3.einen senkrecht angebrachten zylindrischen Körper gleicher Farbe und Höhe mit einem Durchmesser von mindestens 35 cm.

Diese Sicherungsmittel dürfen nicht höher als 1,50 m über der Fahrbahn angebracht werden.

Wenn nötig (§ 17 Absatz 1), ist mindestens eine Leuchte mit rotem Licht an gleicher Stelle anzubringen, außerdem ein roter Rückstrahler nicht höher als 90 cm.

 StVO, § 22 Ladung, Absatz (4), Stand 2013


Mein Problem wäre also an ehesten gewesen, dass die Sonne langsam untergeht und ich zur Fahne am besten noch eine rote Lampe hätte mitbringen müssen. Aber dann wäre es in Ordnung gewesen!

Der Weg vom Baumarkt nach Hause führt direkt an der Polizeistation vorbei. Egal ob man an der Kreuzung gerade aus auf die Autobahn fährt oder links abbiegt durch die Stadt: Da kann man sich darauf verlassen, dass man mit einer solchen Anordnung erst mal genau in Augenschein genommen wird.

Natürlich habe ich nicht den Weg über die Autobahn mit der Ape gewählt! Aber kurios oder nicht – auch das wäre rechtlich in Deutschland vollkommen in Ordnung, denn die Ape Calessino 200 hat eine eingetragene Höchstgeschwindigkeit von 61 km/h (und mit mehr als 60 darf man Kraftfahrstraßen nutzen)!

Spaßbremse

Kaum ist das Salz von den Straßen, dass Straßen.NRW noch mal großzügig am Ende der Eiszeit verteilt hat, kommt die Ape wieder in Bewegung. Aber diesmal über den langweiligen Winter hat sie sich etwas Neues ausgedacht!

Ich schaute nicht schlecht, als ich die Ape in die Garage gefahren hatte, das Tor zumachen wollte und mich zwei rote Lampen anleuchteten. Das ist Motivation! Hast Du vergessen, das Licht aus zu machen? Nur eine Sekunde, denn nein – einen Lichtschalter hat sie ja gar nicht! Es geht mit der Zündung an oder aus und den Schlüssel hielt ich noch in der Hand! Auch waren die Scheinwerfer aus – es muss ich also um das Bremslicht handeln.

Das Bremslicht funktioniert bei der Ape in der Tat auch ohne Zündung. Und es kann leuchten, wenn man nicht auf das Bremspedal drückt. Offensichtlich.

Ich habe auf die Schnelle mal eben am Bremspedal gewackelt und der Spuk hatte ein Ende.

Aber nicht lange. Das Verhalten zeigte sich mehrfach und so habe ich beim ersten schönen Sonnenschein das Problem mal in Angriff genommen.

Der Bremslicht-Schalter sitzt direkt am Bremspedal und ist aus Sicherheitsgründen so konstruiert, dass er sich im gedrückten Zustand befindet, wenn das Bremspedal in Ruhestellung ist. Drückt man das Bremspedal, so entspannt sich der Schalter und schließt den Stromkreis zu den Bremsleuchten. So ist sichergestellt, dass die Bremslichter an gehen, wenn der Schalter mal abfallen sollte. „Bremslicht an“ ist der sichere Zustand.

Der Schalter funktioniert tadellos. Es scheint in der Tat so zu sein, dass sich in der Lagerung des Bremspedals, wo die axiale Feder das Bremspedal vorspannt, sich eine Reibung aufgebaut hat, die das Bremspedal in kalten Temperaturen daran hindert, den Weg ganz bis an den Anschlag der Ruheposition zurück zu laufen.

Die einfachste Idee scheint hier zur Lösung geführt zu haben: Es gibt Reibung? Also ein bißchen Silikonöl auf die Torsionsfeder, die Lagerungen und die Stelle, an dem der Nocken den Bremslichtschalter betätigt. Problem vorerst behoben!

Mnmlsms

Was ist denn das für eine Überschrift? Ist die Katze über die Tastatur gelaufen oder fehlt da was?

Nein, bei uns gibt es keine Katze. Da fehlt was: Die Vokale. Es sollte „Minimalismus“ heißen. Wenn man es weiß, kann man sie weg lassen und versteht es trotzdem. Vokale sind dann redundant und können weg. Genau, darum soll es gehen: Was überflüssig ist, braucht man nicht.

Und schon sind wir bei der Ape, denn sie ist ein minimalistisches Fahrzeug – wenn nicht sogar das minimalistischste aller Fahrzeuge, die man in den letzten Jahren kaufen konnte. Abgesehen vom Mofa vielleicht. Aber das kippt um, wenn man es los lässt.

Am Anfang steht die Motivation. Die Frage nach dem „Warum?“ stellt sich immer schon vor dem „Wie?“ oder „Was?“. Für die Ape könnte dies in einem Satz so lauten:

Möglichst vielen Menschen soll es ermöglicht werden, einen Mensch und Gepäck ohne Anstrengung wo anders hin zu bringen, ohne dass etwas nass wird.

Der Anforderungskatalog dazu passt dann auf den Deckel eines Pizzakartons (Bierdeckel benutzt man in Italien ja nicht):

  1. Der Fahrer braucht eine Scheibe und etwas über dem Kopf, damit er bei Regen nicht nass wird.
  2. Das Ding braucht einen Motor, damit niemand schieben und keine Tiere ziehen müssen.
  3. Das Ding muss von selbst stehen können. Denn wenn es immer umfällt, kann man es nicht gut beladen. (Eine durchaus gute Frage, ich habe noch nie herausgefunden, wie die Inder mit Ihren Zweirädern das genau anstellen).
  4. Die Mindestanzahl der Räder ergibt sich daraus von allein zu drei Stück: Denn erst mit dem dritten Aufstandspunkt ergibt sich im dreidimensionalen Raum für die Position des zu entwerfenden Dings ein vollständig bestimmtes Gleichungssystem.
  5. Außer dem Fahrer muss man noch was mitnehmen können. Entweder eine Menge Zeug oder mindestens zwei Leute. In Indien gegebenenfalls auch mehr.
  6. Das Ding darf nicht teuer zu kaufen sein, sonst kaufen es arme italienische Bauern nämlich nicht. Und es darf auch nicht teuer im Betrieb sein, denn sonst benutzt es keiner. Und dann kauft es auch keiner bzw. nur die Doofen.
  7. Das einzelne Rad kommt nach vorn, die zwei Räder nach hinten – denn hinten kommt die ganze Beladung hin.
  8. Ein Motor nimmt dem Fahrer die Arbeit ab, das Ding zu schieben. Das ist der entscheidende Mehrwert – denn Schubkarren und Sänften gab es schon.
  9. Es werden die hinteren Räder angetrieben, denn das vordere Rad anzutreiben ist kompliziert. Und kompliziert ist teuer – und überhaupt macht es keinen Spaß das zu konstruieren.
  10. Das Ding braucht eine Bremse zum kontrollierten Anhalten.
  11. Der Motor wird mit Benzin betrieben, denn das gibt es überall und man kann es gut transportieren.
  12. Der Motor bekommt nur einen Zylinder, denn jeder weitere macht im Prinzip nichts Anderes als der erste auch.
Wenn man so ein Fahrzeug beladen will, dann braucht man externe Hilfe, sonst kippt es um. Um das zu vermeiden, braucht man mindestens drei Räder. Gesehen in der Nähe von Pimpri bei Pune (Maharashtra, Indien, 2011).

Schaut man sich die resultierende Architektur an, soverblüfft die Übereinstimmung mit dem ersten Automobil überhaupt, dem Patent-Motorwagen Nummer 1 von Carl Benz:

Benz Patent-Motorwagen Nummer 1, Quelle: Wikipedia, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Es ist ebenfalls ein Dreirad mit dem gelenkten, einzelnen Rad vorn und einem Antrieb mit einem Einzylinder-Benzin-Motor. Mit keinem Auto kommt man der ursprünglichen Automobilität so nah wie mit einer Ape!

Gut, wesentliche Fortschritte gibt es trotz alledem im Bereich der Fahrbarkeit und des Komforts. Der Motorwagen Nummer 1 war im Prinzip ein rein technischer Demonstrator. Die Idee eines Dachs gegen Regen war von Kutschen schon lange bekannt und Carl Benz auch klar – schon der Motorwagen Nummer 3 hatte neben einer Federung, einem Schaltgetriebe dann auch schon ein verschließbares Stoffverdeck – jetzt sind wir schon sehr nah dran an einer Calessino!

Hinzugekommen sind seitdem noch einige technische „Finessen“ der Ape in Sachen Fahrbarkeit und Komfort:

  • Ein Differentialgetriebe ermöglicht Kurvenfahrt ohne rubbelnde Reifen
  • Ein Rückwärtsgang
  • Eine Frontscheibe, die mit höheren Geschwindigkeiten schnell offensichtliche Vorteile bietet
  • Scheibenwischer, die sich schnell aus dem Vorhandensein einer Scheibe erschließen. Diese sind in der Tat nicht rechtlich vorgeschrieben, es gibt bis heute auch Autos ohne Frontscheiben oder sogar mit Frontscheiben ohne Scheibenwischer, so wie z.B. den Caterham oder den Smart Crossblade.
  • Lampen – um Nachts zu sehen, wo man hin fährt.
  • Kilometerzähler und Tankuhr, damit man den Tank nicht aus versehen leer fährt. Und ja – genau genommen sind die beiden Anzeigen schon redundant!
  • Lenk- und Zündschloss

In der Tat sind viele Ausrüstungsteile letztlich aus rechtlichen Gründen hinzugekommen, welche die Ape zunehmend komplexer gemacht haben:

Eine „Auto Rickshaw“ ohne Türen. Zwar keine Ape, aber ein älteres Exemplar des lokalen Marktführers in Indien – eine Bajaj RE. Pune, 2011

Viel mehr ist an einer Ape eigentlich nicht dran. Man könnte sagen, dass dies das absolute Minimum darstellt, mit dem man auf deutschen Straßen heute unterwegs sein kann. Lässt man hiervon etwas weg, so wäre das Fahrzeug entweder illegal zu betreiben oder zumindest gäbe es einen wirklich relevanten Einschnitt in die Funktionalität.

Einen Drehzahlmesser? Hat die Ape nicht. Man hört, wie schnell der Motor dreht. Und dazu ist er so ausgelegt, dass er zu hohen Drehzahlen hin überproportional an Drehmoment verliert. Das heißt, seine Leistung sinkt ab einer gewissen Drehzahl wieder. Jeder Mensch mit einem Vortriebsbedürfnis – also eigentlich jeder – schaltet dann von ganz allein.

Eine Uhr im Armaturenbrett? Gibt es nicht. Man darf davon ausgehen, dass der Fahrer über eine Armband- oder andere Uhr verfügt. Oder Uhren in der Umgebung verfügbar sind. Wenn nicht, dann kann man nach dem Sonnenstand schauen oder verlässt sich auf sein Zeitgefühl. Für die Pünktlichkeitsanforderungen auf dem italienischem Land sollte das hinreichend genau sein.

Eine Kühlwasser-Temperatur-Anzeige? Nein, in Ermangelung einer Wasserkühlung ist auch das unnötig. Nach Sicherheitstechnik wie im Auto muss man gar nicht erst suchen – und das ist ein ganz eigenes Thema für sich.

Im Prinzip handelt es sich bei der Ape Calessino also um den Lösungsansatz für Individualverkehr mit der kleinstmöglichen Anforderung an technische Komplexität.

Das führt zu einfacher Wartung und Reparatur und in letzter Konsequenz (hoffentlich) einer Steigerung der Zuverlässigkeit durch Verringerung der absoluten Zahl an Fehlermöglichkeiten im System. Denn die Komplexität ist nicht Dein Freund!

„Alles, was Du besitzt, besitzt irgendwann Dich.“

Tylor Durden im Film „Fightclub“

Aus unserer heuten Welt heraus in Ihrer komplex technisierten Form heraus kann die Ape Calessino fast als philosophisches Statement betrachtet werden.

Piaggio selbst hat und hatte sich der Entwicklung und Produktion von sehr komplexen Geräten verschrieben: Flugzeuge für den Krieg und später auch für zivile Anwendungen (wobei man auch hier durchaus bereit ist, Konzepte mal von Grund auf neu zu denken)

Vermutlich war der Ansatz bei der Erschaffung der Ape ein profaner und pragmatischer Ansatz mit dem Ziel der Kostenreduktion in der Produktion für eine breite Massenproduktion. Das spiegelt sich auch 70 Jahre später in der aktuellen Ape Calessino noch wieder.

Traue ich Piaggio zu, dass sie einen philosophischen Ansatz bei der Entwicklung der Ape seinerzeit zu Grund gelegt haben? Nein. Wohl eher nicht. Aber es bleibt ein schöne Vorstellung, dass es so gewesen sein könnte!